In unserer heutigen Welt scheint das Bedürfnis nach Entspannung ständig zu wachsen und gefühlt bekommt man nie genug. Das liegt nicht nur daran, dass die Anforderungen im Alltag und Beruf immer höher werden, sondern auch an der zunehmenden Reizüberflutung, der wir ausgesetzt sind. Täglich prasseln unzählige Informationen auf uns ein – von sozialen Medien über Nachrichten bis hin zu digitalen Benachrichtigungen. Besonders Menschen mit neurodiversen Eigenschaften, wie Hochsensibilität oder AD(H)S, sind davon oft stärker betroffen und brauchen daher besondere Strategien zur Stressbewältigung.
Warum Entspannung so wichtig ist
Die tägliche Reizüberflutung durch die Digitalisierung und ständige Erreichbarkeit kann unser Nervensystem stark beanspruchen und sogar auf Dauer aus der Balance bringen. Das sympathische Nervensystem, zuständig für die "Kampf-oder-Flucht"-Reaktion, wird permanent aktiviert. Ohne ausreichende Erholungsphasen kann dies zu chronischem Stress, Erschöpfung und einer Vielzahl gesundheitlicher Probleme führen. Daher ist es entscheidend, regelmäßig Phasen der Entspannung einzulegen, um das parasympathische Nervensystem – unseren "Ruhe- und Verdauungsmodus" – zu aktivieren und so die Regeneration des gesamten Körpers zu unterstützen.
Es braucht individuelle Ansätze zur Entspannung
Allerdings sind nicht alle Entspannungsübungen für jeden gleichermaßen geeignet. Was für den einen wohltuend und beruhigend ist, kann für den anderen frustrierend oder ineffektiv sein. Deshalb ist es wichtig, verschiedene Methoden auszuprobieren und herauszufinden, was für einen selbst am besten funktioniert.
Körperorientierte Methoden:
Diese sind besonders für Menschen geeignet, deren Nervensystem bereits so dysreguliert ist, dass sie durch ihre innere Unruhe und starke körperliche Aktivierung gar nicht in der Lage sind, längere Zeit stillzusitzen oder zu liegen. Durch die körperliche "Arbeit" lassen sich Stressenergien und Stresshormone aktiv abbauen:
Progressive Muskelentspannung (PMR): Diese Methode, bei der bestimmte Muskelgruppen nacheinander angespannt und wieder entspannt werden, ist besonders effektiv für ein dysreguliertes Nervensystem. Durch die bewusste An- und Entspannung wird eine tiefe körperliche und mentale Ruhe gefördert.
Yoga und Tai Chi: Diese Praktiken kombinieren Bewegung, Atemtechniken und Meditation, um Körper und Geist in Einklang zu bringen.
Neurogenes Zittern: Diese Methode, auch als TRE (Tension and Trauma Releasing Exercises) bekannt, nutzt natürliche zitternde Bewegungen des Körpers, um tiefsitzende Spannungen und Traumata zu lösen. Das Zittern wird durch spezielle Übungen ausgelöst und kann sehr befreiend wirken, indem es das Nervensystem auf eine tiefe, physische Weise entspannt.
Atemtechniken:
Tiefes Atmen: Langsames, tiefes Atmen kann helfen, den Körper zu beruhigen und den Geist zu klären. Es gibt verschiedene Techniken, wie z.B. die 4-7-8-Methode, bei der man 4 Sekunden einatmet, 7 Sekunden die Luft anhält und 8 Sekunden ausatmet.
Box Breathing: Diese Technik beinhaltet das Einatmen, das Anhalten des Atems, das Ausatmen und das erneute Anhalten, jeweils für vier Sekunden, und ist besonders in Stresssituationen hilfreich.
Mentale Entspannung:
Meditation und Achtsamkeit: Durch das Fokussieren auf den gegenwärtigen Moment können negative Gedanken und Stress abgebaut werden. Es gibt viele verschiedene Meditationsformen, von geführten Meditationen bis hin zur stillen Sitzmeditation.
Visualisierungsübungen: Sich gedanklich an einen ruhigen, friedlichen Ort zu begeben, eine geführte oder ungeführte Fantasiereise zu unternehmen, kann dabei helfen, den Geist zu beruhigen und Stress abzubauen.
Kreative Aktivitäten:
Malen, Schreiben oder Musik machen: Kreative Ausdrucksformen können eine hervorragende Möglichkeit sein, um sich zu entspannen und den Kopf freizubekommen.
Handarbeiten: Tätigkeiten wie Stricken, Häkeln oder Modellbau können sehr beruhigend wirken und gleichzeitig das Gefühl von Produktivität fördern.
Lesen von Büchern: Das Eintauchen in andere Welten und Geschichten kann extrem entspannend sein. Es bietet eine kleine Auszeit aus der Realität und ermöglicht es, Sorgen und Stress für einen Moment hinter sich zu lassen. Das Lesen aktiviert die Vorstellungskraft, fördert die Konzentration und kann ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit vermitteln.
Also: Entspannung ist etwas ganz Individuelles
Entspannung ist keine Einheitsgröße, sondern eine persönliche Reise. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und verschiedene Methoden auszuprobieren, um herauszufinden, was für einen selbst am besten funktioniert. Die Bedürfnisse des Nervensystems können sich auch je nach Lebenssituation - ja sogar nach Tagesverfassung - ändern. Während in einer stressigen Arbeitswoche vielleicht kurze, intensive Entspannungstechniken wie PMR hilfreich sind, kann in ruhigeren Zeiten eine längere Yoga- oder Meditationspraxis besser passen. Letztlich geht es darum, auf den eigenen Körper zu hören und das zu tun, was einem selbst am meisten Wohlbefinden bringt.
Und wie entspannst DU dich?
Nimm dir einen Moment Zeit, darüber nachzudenken, welche Methoden dir bisher geholfen haben und welche neuen Techniken du ausprobieren könntest. Die Suche nach der passenden Entspannung ist eine lohnende Investition in deine Gesundheit und dein Wohlbefinden.
Du hast sowas von recht liebe Nina,
Ich bin ja auch im Bereich Resilienz, Stressmanagement und Burnout- Prävention tätig und kann das nur bestätigen. Es gibt hier ja mehrere Stellschrauben, an denen man drehen kann, Stress reduzieren, bewältigen und abbauen und das ist alles sinnvoll und angebracht. Aber nach vielen Jahren Beratung und Training sehe ich wirklich viele Menschen, die keine - sagen wir - Entspannungsfähigkeit mehr haben, sie wissen schlichtweg nicht, wie sie's machen sollen und das wie ein Muskel ist, den man trainieren kann. Und da denke ich, es hilft zu wissen, dass es viele Möglichkeiten gibt und es zunächst darauf ankommt, eine bedürfnis- und typgerechte Methode zu finden, um den Effekt von Ruhe und Entspannung auch wirklich zu spüren…